Der Landtag von Brandenburg will weiblicher werden und schlägt dafür verfassungsrechtliche Bedenken in den Wind

04.02.2019

Das Parlament des deutschen Bundeslandes Brandenburg beschliesst ein Gesetz, das Parteien ab 2020 verpflichtet, gleich viele Frauen wie Männer auf ihre Wahllisten zu setzen. Kritiker halten das Vorhaben für gesetzeswidrig, doch der Zeitgeist scheint auf der Seite der Befürworter zu stehen.

Nicht wenige Abgeordnete des Brandenburger Landtags dürften am Donnerstagnachmittag überzeugt gewesen sein, Geschichte geschrieben zu haben. Als erstes deutsches Parlament verabschiedete das Gremium ein Gesetz, das die Parteien verpflichtet, bei Landtagswahlen genauso viele Frauen wie Männer auf ihre Wahllisten zu setzen. Brandenburg habe damit «eine Vorreiterrolle eingenommen», sagte der sozialdemokratische Fraktionschef Mike Bischoff. «Bis jetzt hat sich kein Parlament getraut, jetzt traut sich eins», verkündete Andrea Johlige, eine Abgeordnete der Linkspartei. Der Frauenanteil im Landtag liege gerade einmal bei etwas mehr als 36 Prozent, argumentierten die Befürworter des Gesetzes, und damit noch unter dem Wert der letzten Legislaturperiode. Kritiker wiesen demgegenüber darauf hin, dass das Gesetz die Freiheit des Wählers einschränke, da diesem ein geschlechtsbezogenes Kandidatenspektrum vorgesetzt werde. Zudem werde die Freiheit der Parteien bei der Listenaufstellung in unzulässiger Weise beschnitten. Für das Vorhaben votierten Sozialdemokraten und Linke, die in Brandenburg die Regierung stellen, sowie die oppositionellen Grünen; dagegen die Christlichdemokraten, die AfD und einige fraktionslose Abgeordnete. In Kraft treten soll das Gesetz am 1. Juni 2020; für die nächste Landtagswahl, die voraussichtlich am 1. September stattfindet, gilt es also noch nicht. Die Grünen wollten es noch radikaler Die Grünen hatten ursprünglich einen noch radikaleren Vorschlag gemacht. Sie wollten, dass in den Wahlkreisen Kandidatenduos antreten, bestehend jeweils aus einem Mann und einer Frau. Die Wähler hätten dann zwei Erststimmen bekommen; mit der einen hätten sie einen Mann, mit der anderen eine Frau wählen müssen. Dafür hätte die Zahl der Wahlkreise von 44 auf 22 halbiert werden sollen. Das ging selbst SPD und Linken zu weit, zumal die Fläche vieler Wahlkreise im relativ dünn besiedelten Brandenburg dadurch sehr gross geworden wäre. Die CDU wiederum hatte einen Gegenvorschlag eingebracht, der in einem unverbindlichen Appell an die Parteien bestanden hätte, beide Geschlechter bei der Wahl ihrer Kandidaten gleichermassen zu berücksichtigen. Zudem sprachen sich die Christlichdemokraten dafür aus, Frauen die Kosten für Verdienstausfall sowie Kinderbetreuung zu erstatten, um deren Engagement, nicht zuletzt auch in der Kommunalpolitik, zu erleichtern. Das Gesetz, das Regierung und Grüne am Donnerstag durchbrachten, halten manche Christlichdemokraten für verfassungswidrig. Bemerkenswerterweise können sie sich dabei auf ein juristisches Gutachten berufen, das die Landesregierung im Oktober selbst eingeholt hatte: Darin wurde «aus verfassungsrechtlichen Gründen» empfohlen, auf verpflichtende Vorschriften zu verzichten. Nun rechnet man in der CDU-Fraktion damit, dass sich Gerichte mit dem Gesetz beschäftigen werden und dieses wieder einkassieren könnten: «Wenn nach dem Inkrafttreten Neuwahlen notwendig würden und die Verfassungsgerichte noch nicht abschliessend entschieden haben, hätten wir eine veritable Staatskrise», sagte der CDU-Abgeordnete Björn Lakenmacher am Donnerstag im Landtag. Die Piratenpartei, die rechtsextreme NPD sowie die Jugendorganisation der FDP haben bereits bekanntgegeben, Verfassungsbeschwerde erheben zu wollen. Brandenburgs «Pionierrolle» sei «selbstverständlich nicht ganz ohne Risiko», räumte der sozialdemokratische Innenminister Karl-Heinz Schröter in der Debatte ein. «Höchste Zeit»? Trotz all diesen Bedenken scheint der Zeitgeist auf der Seite der Befürworter zu stehen. Nicht wenige Bundespolitikerinnen blicken mit Wohlgefallen auf Brandenburg: Annegret Kramp-Karrenbauer, die Chefin der CDU, sprach sich für eine Reform des Wahlrechts aus, um den Frauenanteil in deutschen Parlamenten zu erhöhen, ohne sich jedoch explizit hinter das Brandenburger Modell zu stellen. Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, erklärte, auch auf Bundesebene sei es «höchste Zeit» für ein Gesetz, wie es nun in Brandenburg verabschiedet worden sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich im November, als in Berlin mit einem Festakt die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren gefeiert wurde, für «Parität» in deutschen Parlamenten ausgesprochen. Auffälligste Fürsprecherin einer Frauenquote ist die sozialdemokratische Justizministerin Katarina Barley. Ihr schweben entweder Listen vor, wie sie nun in Brandenburg beschlossen wurden, oder aber grössere Wahlkreise mit zwei direkt gewählten Abgeordneten beiderlei Geschlechts, also das Modell, das die Brandenburger Grünen ursprünglich vorgeschlagen hatten.